Dienstag, 1. März 2011

Minigeschichten für mein Clavichord

Ich hatte eine wunderbare Unterrichtsstunde am Clavichord. Meine Lehrerin hat mich gefragt, was ich in der Stunde machen möchte. Ich antwortete ihr, dass meine Lieblingsübung sei: „Guck mal was die Finger machen“. 

Das Notenspielen fällt mir sehr schwer. Jeder Takt ist mühevoll, aber das freie Spiel, das fällt mir leicht. Also lege ich los. Ich beginne einfach, die Finger auf die Tasten zu legen und spiele. Fast jedesmal staune ich und bin überrascht, dass so eine schöne Musik dabei herauskommt. 

In der linken Hand legte ich den Tonraum mit einer Quinte fest, in der rechten begann ich eine Melodie dazu zu spielen. Wie es mir gerade einfiel. Ich blieb immer im gleichen Tonraum, d.h. ich wechselte die Quinte zunächst nicht, bis meine Lehrerin mich dazu aufforderte, Tonraumwechsel in mein Spiel zu integrieren. 

Das tat ich – allerdings wollte ich meine Lehrerin nicht langweilen – also wechselte ich die Tonräume schneller, als mir lieb war und als ich es empfand. Sie bemerkte es und ich spielte noch einmal – blieb so lange wie ich wollte und wechselte wie ich wollte, spürte mich in Übergänge, Richtungen und in meine Wünsche hinein: 

Was möchte ich hören? Wo möchte ich hin? Was könnte das Ziel sein? 

In einem nächsten Schritt schlug sie vor, die Tonräume jeweils mit gesprochenen Worten zu benennen. Immer nur kurz: Erst habe ich gemeint, ich bringe kein Wort heraus, dabei waren die Bilder für den gespielten Tonraum schon in meinem Kopf. 

Nachthimmel. Sterne blinkern. 
Funkeln, strahlen in der Dunkelheit auf. 
Sie schauen von oben zu uns nach unten. 

Wir sehen zu ihnen auf. Geborgenheit. 

Ein altes Schaf am Himmel träumt. 

Und was ist das? (Ein unglaublich schiefer, weil ungestimmter Ton im Bass.) 

Nicht einzuordnen. Man weiß es nicht. 

Es stört. 


Bis ich das erste Wort gesagt habe, hat es eine Weile gedauert. Das sprechen war mir peinlich. Doch dann habe ich es gesagt, und es war mir als würden die weiteren Worte geboren. Es waren Geburten und ich fühlte mich in meinen Worten vollkommen unabhängig von Befindlichkeiten und vom Kreisen um Sorgen und Probleme. 

Es war durch einen angebebenen Tonraum ein Bild entstanden und aus dem Bild weitere Bilder. Sie wurden geboren und erfüllten mich ganz und gar. 

Ich sagte zu meiner Lehrerin: Ich könne aber nicht anders, als jene Bilder zu nehmen, die ich eben hätte – egal wie abwegig die seien. Sie sagte: Ja, genau das, was kommt. (Ohne Zensur.)

Und sie erzählte mir von der alten Bardenkultur spontan erzählter Geschichten. Am Tag nach dieser Stunde, fiel mir auf dem Weg zur Arbeit noch eine weitere Minigeschichte ein:

Fritzchen geht mit schlechtem Gewissen in die Schule. 
Er hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. 
Die Lehrerin bemerkt es, 
Fritzchen hat Angst. 
Die Lehrerin schimpft nicht. 
Sie ermahnt Fritzchen, seine Hausaufgaben zu machen. 
Fritzchen ist erleichtert und verspricht, seine Hausaufgaben zu machen. 


Warum auch immer, einem so etwas einfällt? Ich weiß es nicht. 
Ich werde auf jeden Fall weitermachen und diese Einfälle sammeln.